In Corona-Zeiten ohne schlechtes Gewissen trainieren? Handball-Drittligist ESG Gensungen/Felsberg macht`s möglich. Mit Schnelltests.
Gensungen – „Das habe ich noch nie erlebt“, sagt Arnd Kauffeld, immerhin schon fast 20 Jahre Handball-Trainer. Einer seiner Schützlinge, Rückraumspieler Rossel, spricht von „völligem Neuland“. Gemeint ist Training in Corona-Zeiten, wenn um die eigene Sporthalle herum das öffentliche Leben heruntergefahren ist. Die ESG Gensungen/Felsberg darf das, weil die 3. Liga, in die die Edertaler nach sieben Jahren zurück gekehrt sind, als Profiliga eingeordnet wird, obwohl alle Spieler einer (haupt-)beruflichen Tätigkeit oder einer Ausbildung nachgehen. „Ein Privileg“, sagt Linksaußen Lippold, „mit dem wir aber sorgsam umgehen müssen.“ Im Einklang mit seinem Coach: „Es kann nicht sein, dass sich um uns herum die Pandemie-Lage zuspitzt und wir statt mit den sonst erlaubten zwei mit 16 Haushalten zusammen unsere Übungen absolvieren.“
Diesem „mulmigen Gefühl“ von Trainer und Mannschaft konnte Abhilfe geschaffen werden. Mit Schnelltests vor jedem Training, die auch dem Wunsch der Spieler nach Sicherheit Rechnung tragen. Denn: Spieler plus Trainer und Mannschaftsverantwortliche kommen aus unterschiedlichen Regionen, haben unterschiedliche Jobs, leben mit anderen Menschen in einem Haushalt.
Wie Franco Rossel. Der wohnt mit seiner Freundin in deren Elternhaus in Gensungen und hat es in jeder seiner Schichten als Feinwerkmechaniker mit mindestens fünf Arbeitskollegen zu tun. „Es gab einerseits diese Unsicherheit, andererseits aber auch den Wunsch, den Trainingsbetrieb aufrecht zu erhalten. Also versuchen wir nun mit regelmäßigen Tests das Ansteckungsrisiko zu minimieren“, erläutert Mannschaftsarzt Dr. Rudolff den kollektiven Entscheidungsprozess.
Die Tests führt er selber durch. Eine Prozedur, die Zeit, Geduld und Geld kostet. Sie geht so: Die Spieler erscheinen bereits umgezogen eine halbe Stunde vor dem Training in der Kreissporthalle und nehmen dort auf der Tribüne in Corona gemäßen Abstand mit Maske Platz, ehe sie einer nach dem anderen in die Kabine zu ihrem „Doc“ gebeten werden.
Dort wird ihnen ein Stäbchen von Meinhard Rudolph oder Physiotherapeut Salim Hadid in die Nase eingeführt. „Unangenehm“ sei das, meint Spielmacher Jona Gruber, weil das Stäbchen für eine ordnungsgemäße Probe bis zur hinteren Rachenwand vordringen muss: „Man glaubt kaum, dass es noch weiter reingeht, aber es geht.“ Der Abstrich kommt danach in ein Lösungsmittel, wovon drei Tropfen auf einen zwei mal fünf Zentimeter großen Reagenzträger aufgetragen werden.
Mit diesem in der Hand kehrt der getestete Spieler auf die Tribüne zurück. Wartet auf das Ergebnis, 20 Minuten lang. „Angst davor, was bei dem Test rauskommen könnte, habe ich dabei nicht. Aber es ist auch nicht so, als ob ich zuhause bequem auf dem Sofa sitze“, beschreibt Max Lippold das letzte Vorspiel vor dem Training. Das erwartet ihn, wenn auf dem Testmedium nur ein roter Strich (statt zwei) erscheint, der 24-Jährige also „negativ“ ist.
Das war bisher bei ca. 1200 Tests Gensunger Akteure seit Anfang Dezember die Regel. Ohne Ausnahme. Hatte zur Folge, „dass wir mit ruhigem Gewissen trainieren konnten“ (Gruber). Von einer „befreienden Wirkung“ spricht der ESG-Coach, Meinhard Rudolph glaubt, „dass die Tests zu einem entspannteren Trainingsablauf geführt haben.“ Auf jeden Fall konnte sich die mäßig in die Saison gestartete Mannschaft (2:6-Punkte) wesentlich konzentrierter ihrem Ziel widmen, beim Restart voll da zu sein und sich so laut Franco Rossel „gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil zu erarbeiten.“
Das Training dient dem 25-Jährigen darüber hinaus dazu, „mal richtig abzuschalten“, schließlich trifft er in der Halle „nicht nur Mitspieler, sondern auch Freunde.“ Die tauschen sich aus, beraten sich, machen auch schon mal Quatsch miteinander. Und wachsen so als Mannschaft in schweren Zeiten noch mehr zusammen. Bis es wieder los geht, die wohl ungewöhnlichste Trainingsperiode der Edertaler Geschichte, aber bestimmt nicht vergessen ist.
von Ralf Ohm (HNA)